
Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich rasant aus
Ein unscheinbares Insekt sorgt für massive Ernteausfälle: Die Schilf-Glasflügelzikade überträgt krankheitserregende Bakterien auf Zuckerrüben, Kartoffeln und zunehmend auch anderes Gemüse. Die Folge: gummiartige Knollen und minderwertige Ernten. Klimawandel und fehlende Pflanzenschutzmittel verschärfen das Problem. Die Forschung sucht fieberhaft nach Auswegen.
von Redaktion/Pflanzenforschung.de erschienen am 19.07.2025
Ein unscheinbares Insekt sorgt für massive Ernteausfälle: Die Schilf-Glasflügelzikade überträgt krankheitserregende Bakterien auf Zuckerrüben, Kartoffeln und zunehmend auch anderes Gemüse. Die Folge: gummiartige Knollen, minderwertige Ernten – und verzweifelte Landwirte. Teilweise sind auch private Gemüseanbauer betroffen. Klimawandel und fehlende Pflanzenschutzmittel verschärfen das Problem. Die Forschung sucht fieberhaft nach Auswegen.
Sie ist klein und doch für einen der dramatischsten Ernteverluste der letzten Jahre verantwortlich: die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus). Das bräunliche Insekt überträgt gefährliche Bakterien auf verschiedene Nutzpflanzenarten. Die Folgen für Landwirte und Verbraucher sind gravierend – und verschärfen sich durch den Klimawandel.
Gummikartoffeln und zuckerarme Rüben
Zwei Pflanzenkrankheiten machen den Landwirt:innen derzeit besonders zu schaffen: Stolbur und das sogenannte SBR-Syndrom (Syndrome Basses Richesses). Verursacht werden sie durch Bakterien, die über Stiche der Schilf-Glasflügelzikade auf Pflanzen übertragen werden. Bei Stolbur handelt es sich um das Bakterium Candidatus Phytoplasma solani, das besonders Kartoffeln, aber auch Möhren, Rote Bete oder Sellerie befällt. Die Pflanzen welken, ihre Knollen und Wurzeln werden weich und gummiartig. Im Fall von SBR, ausgelöst durch Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus, verlieren Zuckerrüben an Zuckergehalt und neigen schneller zur Fäulnis – ein Problem für die Zuckerindustrie. Es besteht der Verdacht, dass die Zikade SBR auch auf Zwiebeln überträgt.
Beide Krankheiten führen zu deutlichen Ertrags- und Qualitätsverlusten. Besonders auffällig: Bei infizierten Kartoffeln steigt der Zuckergehalt in den Knollen. Grund dafür ist eine gestörte Energieverteilung in der Pflanze – der Zucker kann nicht mehr richtig in Stärke umgewandelt oder abtransportiert werden. Das beeinträchtigt nicht nur die Lagerfähigkeit, sondern auch die Verarbeitungsqualität: Beim Frittieren bräunen die Kartoffeln schneller – Chips und Pommes werden fleckig und damit unverkäuflich. Auch wenn die veränderten Produkte für Menschen nicht gesundheitsschädlich sind, landen sie kaum im Handel.
Vom Schilfrand auf den Acker
Die Schilf-Glasflügelzikade ist in Deutschland heimisch – ursprünglich lebte sie bevorzugt an Schilf und anderen Uferpflanzen in Feuchtgebieten. Erst ab Ende der 2000er Jahre wurde sie verstärkt im Ackerbau beobachtet, insbesondere in Zuckerrübenfeldern. Warum sie ihr Habitat wechselte, ist noch nicht vollständig geklärt.
Seitdem hat sich die Zikade rasant ausgebreitet: von Baden-Württemberg über Rheinland-Pfalz und Bayern bis nach Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Heute findet man sie fast in allen Bundesländern – bevorzugt in Regionen mit intensiver Fruchtfolge aus Zuckerrübe und Winterweizen.
Klimawandel als Motor der Invasion
Die rasante Ausbreitung der Zikade ist eng mit dem Klimawandel verknüpft. Warme, trockene Sommer und milde Winter begünstigen sowohl ihre Vermehrung als auch das Überleben der Larven. Diese überwintern im Boden, saugen an den Wurzeln von Weizenpflanzen und entwickeln sich bis zum nächsten Frühjahr zu erwachsenen Tieren.

Lange Zeit brachte die Zikade in Mitteleuropa nur eine Generation pro Jahr hervor. Doch bei steigenden Temperaturen wachsen die Tiere schneller heran – sodass in besonders warmen Jahren möglicherweise zwei Generationen auftreten können. Auch trockene Böden fördern die Eiablage, da die Weibchen dort leichter ihre Gelege absetzen können.
Schwierige Bekämpfung
Die Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade ist äußerst schwierig. Die Larven leben im Boden und entziehen sich damit gängigen Insektiziden. Zwar gibt es vereinzelt Notfallzulassungen für bestimmte Pflanzenschutzmittel, doch diese sind auf wenige Monate und Kulturen beschränkt. Maßnahmen wie eine konsequente Bodenbearbeitung nach der Ernte oder angepasste Fruchtfolgen können helfen, zeigen aber nur begrenzte Wirkung.
Forschende arbeiten an innovativen Ansätzen: So wird etwa am Julius Kühn-Institut untersucht, ob sich die Zikaden über ihre artspezifischen Vibrationssignale verwirren und von der Paarung abhalten lassen. Saatguthersteller entwickeln parallel neue, resistente Sorten – ein Prozess, der jedoch Jahre dauern kann. Manche Expertinnen und Experten fordern daher, moderne Gentechnikverfahren wie die gezielte Genom-Editierung in der Pflanzenzucht zuzulassen, um schneller auf neue Bedrohungen reagieren zu können.
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