Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Gemüsegärtnerei Lehenhof im Deggenhausertal

Integrativer Gemüsebau

Die vielseitige Gärtnerei im Deggenhausertal ist in ein Camphill-Dorf eingegliedert – eine Behinderteneinrichtung, in der rund 350 Menschen gemeinsam leben und in verschiedenen Bereichen arbeiten.

von Katja Brudermann erschienen am 04.06.2024
Die Landwirtschaft ist in allen Camphill-Dörfern ein zentrales Element © Katja Brudermann
Artikel teilen:

Schwere Böden und Höhenlagen zwischen 570 und 750 m bieten für den Gemüsebau nicht die günstigsten Bedingungen. Grünland, Streuobstwiesen und vereinzelt Getreide sind im Deggenhausertal unweit des Bodensee-Nordufers deutlich häufiger anzutreffen als Gewächshäuser. Dass auf dem Lehenhof bereits seit vielen Jahren Gemüse produziert wird, hat andere Gründe. „Für Menschen mit Behinderungen bietet der Gemüsebau ein wichtiges Arbeitsfeld. Es gibt hier eine große Auswahl an Tätigkeiten, sodass sich für Menschen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten etwas Passendes findet. Zudem hat die Arbeit mit der Erde einen guten Einfluss auf das Wohlbefinden“, erklärt Stephan Bauck. Der Landwirt und Gärtnermeister leitet die Gemüsegärtnerei seit 2008.

Der Großteil der rund 160 Menschen mit geistigen Behinderungen in allen Schattierungen lebt viele Jahre im Camphill-Dorf. Menschen ab 18 Jahren werden aufgenommen und die meisten bleiben bis zu ihrem Tod. Die wenigen neuen Bewohner, die im Verlauf eines Jahres dazu kommen, durchlaufen zunächst einen Berufsbildungsbereich, in dem sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten Unterricht bekommen und zudem viele der zum Dorf gehörenden Werkstätten kennenlernen. Danach entscheidet sich, ob sie im Gemüsebau gut aufgehoben sind oder besser in der Landwirtschaft mit Milchverarbeitung, der Kantine, der Wollverarbeitung oder auch beim Öko-Waschmittel-Hersteller Sonnett, der sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet und mit dem eine enge Zusammenarbeit besteht.

Gute Organisation ist wichtig

Jeden Morgen gibt es in der Gärtnerei eine kurze Dienstbesprechung: Was ist zu tun, und wer macht was? Bei vielen Zuarbeiten wie dem Transport der vollen Kisten zum Schlepper am Feldrand oder bei der Handhacke in weniger empfindlichen Kulturen sind viele Dorfbewohner mit ihren Fähigkeiten am richtigen Platz, während die Ernte von Salaten, Brokkoli und anderen empfindlichen Produkten eher in den Händen des Fachpersonals bleibt. Als Grundregel gilt: Wenn die Arbeit mit betreuten Helfern langsamer vorangeht als ohne sie, dann sind sie nicht dabei. Sind sie eine spürbare Erleichterung fürs Fachpersonal oder zumindest keine zusätzliche Belastung, dann kommen sie zum Einsatz. Für Stephan Bauck hat diese Spielregel zwei wichtige Aspekte: „Wir verkaufen unser Gemüse zu regulären Marktpreisen, wir müssen also wie jede andere Gärtnerei darauf achten, dass uns die Arbeitsstunden nicht davon rennen. Und ich bin überzeugt: Jeder Mensch fühlt sich besser, wenn er die Erfahrung macht: Ich bin kein Bremsklotz; der Laden läuft mit meiner Hilfe runder.“

Bio-dynamischer Anbau

Gut zwei Tage nimmt die Anbauplanung für die nächste Saison in jedem Herbst in Anspruch. Sie wird vom Betriebsleiter, Fachkräften und Lehrlingen des 2. und 3. Lehrjahres gemeinsam ausgearbeitet. Die wichtigste Leitlinie für die Auswahl der Kulturen ist der Bedarf am Markt und nicht die Frage, welche Kulturen besonders viel einfache Handarbeit bieten können. Und der Standort setzt seine Rahmenbedingungen. „Für Kartoffeln ist der Boden hier eindeutig zu schwer. Tomaten sind für uns eine wichtige Kultur im Gewächshaus, doch aufgrund der Höhenlage macht ein früher Erntebeginn keinen Sinn. Die ersten eigenen Tomaten haben wir in der Regel erst Mitte Juni“, erklärt Stephan Bauck.

Eine wichtige Kultur ist die Gründüngung, die in der Fruchtfolge zwei von fünf Jahren einnimmt. Vor einem Jahr Kleegras stehen ein Jahr lang explizit auf Humusaufbau ausgerichtete Mischungen aus Leguminosen und Pflanzen mit variierender Durchwurzelungstiefe.

Zudem besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem ebenfalls zum Dorf gehörenden landwirtschaftlichen Betrieb mit 60 Milchkühen. Nebst Grünschnitt bekommen die Jungtiere immer wieder aussortierte Gemüsereste als Beifutter, und im Gegenzug steht der Gärtnerei Kuhmist frei zur Verfügung. Die Gärtnerei ist Mitglied im Demeter-Verband und arbeitet entsprechend mit den hier vorgeschriebenen Präparaten. Die Herstellungs- und Anwendungsweise von mit Mist gefüllten Kuhhörnern, die ein Jahr lang unter der Erde vergraben und anschließend eine Stunde lang in Wasser gerührt und in homöopathischer Verdünnung auf die Flächen ausgebracht werden, klingt abenteuerlich.

Stephan Bauck ist auf einem Demeter-Betrieb aufgewachsen und hat den Einsatz der Präparate von klein auf miterlebt. Seine Sichtweise lautet: „Jeder Betriebsleiter und auch jeder Betrieb ist einzigartig. Ob und wenn ja, welchen Effekt ein Präparat hat, lässt sich aus meiner Sicht nicht allgemein beantworten. Ich persönlich mache die besten Erfahrungen mit dem Horn-Kiesel-Präparat. Es macht die Pflanzen resistenter gegen Krankheiten, und wenn wir die Karotten ein paar Tage vor der Ernte damit behandeln, schmecken sie süßer.“

Das Erfolgskonzept des Lehenhofs

Ein großer Teil der Gemüseernte verbleibt im Dorf. Es gibt eine öffentliche Kantine, und in den Hausgemeinschaften zu je etwa zehn Bewohnern zuzüglich Personal wird regelmäßig gekocht. Die Mitarbeiter und ihre Familien können im Dorfladen einkaufen oder wöchentlich eine dorfinterne Gemüsekiste bestellen, die nebst der eigenen Produkte auch ein breiteres Obst- und Gemüsesortiment vom Bio-Großhandel bereithält.

Rund 5 km vom Kern des Camphill-Dorfs entfernt, an der gut frequentierten Durchfahrtsstraße durchs Deggenhauser Tal, liegt ein Bio-Supermarkt mit Naturkost-Vollsortiment. Soweit möglich, ist dieser mit eigenen Produkten bestückt. Darüber hinaus beliefert die Gärtnerei mehrere Hof- und Naturkostläden sowie Gastronomen in der Region.

Jedes Jahr werden in der Camphill-Gärtnerei ein bis zwei Lehrlinge ausgebildet. „Seit ich hier bin, ist noch kein einziger abgesprungen“, beobachtet Stephan Bauck nicht ohne Stolz. Auf jede freie Stelle bewerben sich hier bis zu 20 Interessenten, der Ansturm auf freie Stellen beim Fachpersonal ist ähnlich hoch. Die Arbeit mit behinderten Menschen und die Einbindung in eine dorfgemeinschaftliche Struktur ist sicher nicht jedermanns Sache – doch viele junge Menschen interessieren sich sehr dafür, in diesem Umfeld ein paar Lebenserfahrungen zu sammeln. Dagegen haben andere Betriebe zunehmend Schwierigkeiten, passende Mitarbeiter zu finden. Der Lehenhof im Deggenhausertal könnte hier durchaus eine Vorbildfunktion im Gemüsebau haben.

Wir verkaufen unser Gemüse zu regulären Marktpreisen. Stephan Bauck
Stephan Bauck ist mit Leib und Seele Betriebsleiter der Gemüsegärtnerei auf dem Lehenhof
Zur Person
Stephan Bauck
Auf dem Lehenhof im Deggenhausertal wohnen und arbeiten rund 160 Menschen mit Behinderung; inklusive des Fach- und Pflegepersonals und deren Familien leben dort rund 350 Menschen. Neben dem Landwirtschaftsbetrieb mit 140 ha, der Gemüsegärtnerei mit 4 ha (verteilt auf zwei Standorte auf 570 und 750 m Höhe) und einer Landschaftsgärtnerei gibt es eine Bäckerei, eine Käserei, Bioladen, Kantine, Wollverarbeitung und Papierherstellung. Auf den Gemüseflächen wachsen 50 verschiedene Kulturen. Gemeinsam mit Betriebsleiter Stephan Bauck (Bild oben) sind sechs Teilzeit-Fachkräfte, vier Auszubildende und bis zu zwölf betreute Mitarbeiter am Werk. 60 % der Gemüseernte wird direkt vermarktet, 40 % gehen an Hof- und Bioläden sowie Gastronomen in der Region. Info: www.lehenhof.de
Das Camphill-Dorf Lehenhof

Das erste Camphill-Dorf gründete der deutsche Kinderarzt Karl König 1940 in Schottland. Sein Ziel war eine Gemeinschaft, in der Menschen mit und ohne Behinderungen miteinander leben und arbeiten, sodass jeder, unabhängig von der Stärke seiner Beeinträchtigungen, ein gutes Leben führen und sich gemäß der eigenen Fähigkeiten sinnvoll einbringen kann. Die Landwirtschaft ist von Anfang an in allen Camphill-Dörfern ein zentrales Element (Bild rechts).

Das Camphill-Dorf Lehenhof wurde 1964 als erstes seiner Art in Deutschland ins Leben gerufen; es bietet Wohn- und Arbeitsplätze für 160 Menschen mit Behinderung. Inklusive des Fach- und Pflegepersonals und deren Familien leben rund 350 Menschen im Dorf. Die Camphill-Idee ist heute mit über 100 Dörfern in 20 Ländern über den ganzen Globus verteilt. Sie alle teilen das Ziel, Alltag und Arbeitsleben von Menschen mit und ohne Behinderungen auf Augenhöhe zu gestalten und ein anthroposophisches Weltbild, in dem jeder Mensch dasselbe Recht auf ein sinn- und würdevolles Leben hat.

© Katja Brudermann
Mehr zum Thema:
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren