Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Verlust der Insektenvielfalt

Schutz an falscher Stelle?

Besonders artenreiche Gebiete sind derzeit nur unzureichend geschützt – das zeigt eine Studie, derzufolge Gebiete mit niedrig wachsenden Pflanzen bis zu 58 Prozent mehr Artenvielfalt aufweisen können als etwa Wälder. Viele dieser besonders artenreichen Gebiete seien allerdings nicht ausreichend geschützt, was zu einer weiteren Abnahme der Insektenvielfalt führen könne.

von Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung erschienen am 16.05.2025
Artikel teilen:
Ein Netzwerk aus 75 Malaise-Fallen erfasst Insekten aus ganz Deutschland – so wie diesen Hauhechel-Bläuling
Ein Netzwerk aus 75 Malaise-Fallen erfasst Insekten aus ganz Deutschland – so wie diesen Hauhechel-Bläuling © Julia Schenkenberger

Senckenberg-Forschende zeigen in einer im Fachjournal „Conservation Biology“ erschienenen Studie, dass Gebiete mit niedrig wachsender Vegetation bis zu 58 Prozent mehr Artenvielfalt aufweisen können als etwa Wälder. Viele dieser besonders artenreichen Gebiete seien aber derzeit nur unzureichend durch Schutzgebiete berücksichtigt, was zu einer weiteren Abnahme der Insektenvielfalt führen könne. Gleichzeitig belegen sie, dass die Insektenvielfalt in Deutschland stärker auf Änderungen in der Landnutzung als auf Wetter- oder Klimaeinflüsse reagiert.

Die Ursache für den Insektenschwund

Insekten bestäuben Pflanzen, darunter viele Nutzpflanzen, zersetzen organisches Material, tragen so zur Bodenfruchtbarkeit bei und sind eine unverzichtbare Nahrungsquelle für viele Tiere. Ihr Rückgang gefährdet sowohl die Stabilität der Ökosysteme als auch die Lebensgrundlagen von uns Menschen.

„Um dem Insektensterben entgegenzuwirken, müssen wir die Hauptursachen für den Rückgang der Arten ermitteln und feststellen, welche Insektengruppen bisher nicht ausreichend geschützt sind“, erklärt Prof. Dr. Peter Haase vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Hierzu haben wir ein deutschlandweites Langzeitmonitoring der Insektenfauna etabliert. Dieses ermöglicht es, Unterschiede zwischen den Lebensräumen zu erfassen, zum Beispiel in Städten, Wäldern oder auf landwirtschaftlichen Flächen, sowie zwischen natürlichen Schwankungen und echten Trends zu unterscheiden. Eine solche Vorlage erlaubt zuverlässige Aussagen über die Entwicklung und die Ursachen des Insektenrückgangs.“

Für die Studie wurde einer der umfangreichsten Insekten-Datensätze verwendet, um unter anderem den Artenreichtum, die zeitliche Fluktuation und Verschiebungen in der Zusammensetzung der Arten sowie Veränderungen in der Gesamtbiomasse der Tiere zu erfassen.

Die Daten zu Fluginsektenarten stammen aus einem Netzwerk von 75 über Deutschland verteilten Malaise-Fallen. Das seit 2019 bestehende Monitoringnetzwerk wird von Senckenberg koordiniert und vom deutschen Netzwerk für ökosystemare Langzeitforschung (LTER-D) und den Nationalen Naturlandschaften (NNL) getragen. James S. Sinclair, Erstautor der Studie, erläutert: „In der Vergangenheit konnten wir so beispielsweise 31.846 Insektenarten aus mehr als 2.000 Proben identifizieren, darunter rund 8.000 Arten, die bislang aus Deutschland unbekannt waren – ein Meilenstein, der zeigt, wie wenig wir in Deutschland über unsere artenreichste Tiergruppe [die Insekten] wissen.“

Weniger Insekten = weniger andere Arten

Die Sammelgebiete von den bayerischen Alpen bis zur Nord- und Ostseeküste umfassen verschiedene Landnutzungstypen, Wetter- und Klimabedingungen sowie Unterschiede im Schutzstatus. In ihrer Studie zeigen die Forschenden, dass die Insektenvielfalt derzeit weniger von Wetter- oder Klimaeinflüssen, sondern vielmehr von der Landnutzung – in erster Linie der Bodenbedeckung – abhängt. Mit zunehmender Uneinheitlichkeit der Vegetation und der Bodenbedeckung stieg die Insektenbiomasse um bis zu 56 Prozent und der Gesamtartenreichtum um bis zu 58 Prozent an.

„Besorgniserregend an unseren Auswertungen ist, dass viele dieser besonders artenreichen Gebiete derzeit nur unzureichend durch Schutzgebiete berücksichtigt werden, was zu einer weiteren Abnahme der Insektenvielfalt führen kann. Für Insekten sollten unbedingt auch unbewaldete Gebiete mit hoher Habitatvielfalt in tieferen Lagen berücksichtigt werden“, so Haase. Die Daten der Forschenden belegen zudem, dass der Verlust von Insektenbiomasse mit einem Rückgang der Artenvielfalt korreliert.

Diese Erkenntnisse sind von großer Bedeutung für die Umsetzung des EU Nature Restoration Law und des Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, das zum Ziel hat, 30 Prozent geschützte Flächen bis 2030 zu etablieren. Das Team kommt zu dem Schluss, dass der oft beobachtete Rückgang der Biomasse darauf hindeutet, dass die biologische Vielfalt abnimmt und das Ökosystem weniger stabil wird. Die Studie zeige nicht nur, wie vielfältig und nach wie vor unbekannt die Insektenwelt Deutschlands ist, sondern auch, wie fragil deren Lebensraum ist, so Sinclair. „Die Erkenntnisse unseres Langzeitmonitorings liefern wichtige Antworten auf die Frage, wie wir den Rückgang der Insektenvielfalt aufhalten können.“

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren