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Sommersonnenwende

Warum viele Pflanzen am längsten Tag innehalten

Die Sommersonnenwende gilt als Wendepunkt im Jahresverlauf vieler Pflanzen. Im Durchschnitt ist dieser Zeitpunkt tatsächlich thermisch günstig – aber längst nicht überall. Regionale Unterschiede und der Klimawandel stellen das scheinbar universelle Signal in Frage.

von Redaktion Pflanzenforschung.de erschienen am 12.09.2025
Insbesondere Untersuchungen an Bäumen führten zu der Hypothese, dass die Sommersonnenwende als „Schalter“ fungiert, um das vegetative Wachstum für das laufende Jahr zu beenden © Theresa Petsch
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Wenn am 21. Juni die Sonne am höchsten steht und der längste Tag des Jahres beginnt, blicken viele Menschen mit Vorfreude auf die Sommerzeit. Auch in der Pflanzenwelt markiert die Sommersonnenwende einen ganz besonderen Moment. Zahlreiche Pflanzenarten – insbesondere Bäume in gemäßigten Breiten – scheinen sich um dieses Datum herum auf den zweiten Teil ihres vegetativen Jahres einzustellen: Sie beenden ihr Längenwachstum, differenzieren Blütenknospen für das kommende Jahr oder beginnen damit, ihr Gewebe auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten.

Pflanzenökologen haben nun untersucht, ob dieser Übergang zur Jahresmitte evolutionär sinnvoll ist – oder ob es vielleicht bessere Zeitpunkte gäbe. Ihre Ergebnisse liefern eine überraschend einfache, aber überzeugende Erklärung für die zentrale Rolle der Sommersonnenwende im Pflanzenjahr: Sie fällt in vielen Regionen mit einem thermischen Optimum zusammen, also einem besonders günstigen Verhältnis von Vorhersagbarkeit und verbleibender Wärme. Doch universal scheint dieser Mechanismus nicht zu sein.

Summe der Wärme eines Jahres als Maß

Für Pflanzen ist Timing alles. Sie können nicht spontan entscheiden, ob sie wachsen oder blühen – sie müssen Umweltreize als Signale nutzen, um ihre Entwicklung auf die beste Zeit im Jahr auszurichten. Besonders wichtig ist dabei die Temperatur, die oft über sogenannte „Growing Degree Days“ (GDD) gemessen wird. Dieses Maß beschreibt, wie viel Wärme sich im Verlauf des Jahres angesammelt hat – je mehr GDD, desto besser die Bedingungen für Zellteilung, Streckungswachstum und Blütenbildung.

Berechnet wird der GDD-Wert, indem man die mittlere Tagestemperatur mit einem artspezifischen Schwellenwert vergleicht – meist liegt dieser zwischen 5?°C und 10?°C. Liegt die Tagestemperatur darüber, wird die Differenz zum Schwellenwert aufaddiert. So entsteht über die Zeit eine Temperatursumme, die angibt, wie weit die Pflanze in ihrer Entwicklung voranschreiten kann. Unterschiedliche Wachstumsphasen – etwa Keimung, Blüte oder Fruchtreife – erfordern jeweils bestimmte GDD-Werte.

Doch Pflanzen stehen vor einem Dilemma: Wachsen sie zu spät im Jahr, riskieren sie Frostschäden oder unreife Samen. Investieren sie zu früh Ressourcen ins Wachstum, verschenken sie womöglich das volle Potenzial des Sommers. Idealerweise sollten sie also dann in die nächste Entwicklungsphase wechseln, wenn sich das restliche Jahr gut vorhersagen lässt und noch genug Wärme übrig ist, um Früchte zu bilden oder Reserven aufzubauen.

Im Durchschnitt passt die Sonnenwende sehr gut

Genau dieses Optimierungsproblem haben die Forschenden in ihrer Studie modelliert. Sie berechneten für zahlreiche Regionen in Europa und Nordamerika, wie gut sich zu einem bestimmten Tag im Jahr die verbleibenden Wärmesummen vorhersagen lassen – und wie viel GDD noch zur Verfügung stehen. Im Durchschnitt fällt der optimale Zeitpunkt demnach ziemlich genau auf die Sommersonnenwende.

Interessanterweise zeigte sich dieses thermische Optimum nicht nur unter heutigen Klimabedingungen, sondern auch in historischen Daten sowie in Zukunftsszenarien mit moderater und starker Erwärmung. Das deutet darauf hin, dass dieser Zeitpunkt klimatisch relativ stabil ist – zumindest unter der Voraussetzung, dass ausreichend Wasser zur Verfügung steht.

Wasserverfügbarkeit bringt Hypothese durcheinander

Doch genau diese Annahme ist einer der Schwachpunkte der Studie. Die Modelle berücksichtigen ausschließlich die Temperatur, nicht jedoch die Verfügbarkeit von Wasser – ein Faktor, der durch den Klimawandel immer wichtiger wird. Schon heute verschiebt sich die Wachstumsperiode vieler Pflanzen nicht nur durch wärmere Frühjahre, sondern auch durch zunehmende Sommertrockenheit. Besonders in Süd- und Mitteleuropa wird das zur Herausforderung.

Fehlt das Wasser, hilft auch die beste Temperatur nichts: Pflanzen drosseln ihre Aktivität, schließen ihre Spaltöffnungen, und das Wachstum stockt. Die Autoren selbst weisen deshalb darauf hin, dass die Rolle der Sommersonnenwende als klimatischer Orientierungspunkt künftig an Bedeutung verlieren könnte – zumindest in Regionen, in denen die Sommer zunehmend trocken verlaufen.

Norden und Süden weichen deutlich ab vom Durchschnitt

Und die Simulationen ergaben noch eine Einschränkung: So passgenau die Sommersonnenwende im Gesamtdurchschnitt ist, so unterschiedlich ist ihre Bedeutung auf regionaler Ebene. In Südeuropa, wo die Vegetationsperiode früher beginnt, liegt der optimale Zeitpunkt der Studie zufolge oft Wochen vor dem 21. Juni. In kühleren Regionen wie Skandinavien verschiebt er sich dagegen nach hinten. Das legt nahe, dass viele Pflanzen nicht allein auf den Sonnenstand setzen, sondern flexibel auf Temperatur und Feuchte reagieren.

Manche Arten könnten sich dabei an einem Zusammenspiel verschiedener Signale orientieren – etwa Tageslänge, Temperatur und Wasserverfügbarkeit. Eine solche Redundanz würde sie robuster machen gegenüber Klimaänderungen, bedeutete aber auch, mehr Ressourcen in die Signalmessung und -verarbeitung zu investieren.

Land- und Forstwirtschaft brauchen komplexere Modelle

Ein Beweis, ob Pflanzen die Sommersonnenwende als Signal nutzen, oder ob es sich am Ende doch nur um eine Korrelation handelt und andere Faktoren maßgeblich sind, liefert die Studie nicht. Ein „photoperiodischer Schalter“ wie die Sonnenwende wäre ein evolutionärer Kompromiss zwischen Sicherheit und Wachstumschance und ein interessanter Ansatz für weitere Forschung. Für die Land- und Forstwirtschaft allerdings lautet die wichtigere Botschaft, dass insbesondere für Nord- und Südeuropa standortspezifische Modelle erforderlich sind, die auch Temperatursignale und Wasserverfügbarkeit berücksichtigen.

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