Birnen in der Schweiz mit Potenzial
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Viele alte, landwirtschaftlich genutzte Kultursorten entsprechen nicht mehr den heutigen Bedürfnissen des Anbaus oder des Marktes. Der genetische Pool alter Sorten enthält jedoch eine Vielzahl an Eigenschaften, die es zu erhalten aber auch zu nutzen gilt. Die Erhaltung soll zukünftigen Generationen erlauben, auf diese Ressourcen zurückzugreifen, um damit auf veränderte Umweltbedingungen und Konsumbedürfnisse reagieren zu können. Fructus, eine Schweizer Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten, betreut in diesem Zusammenhang das Projekt zur Beschreibung von Obstgenressourcen BEVOG III. Eine Auswahl der außergewöhnlichsten Sorten soll einen Einblick geben in die Vielfalt.
Die optischen Variationen an Formen und Farben bei den Birnen sind mannigfaltig; von kugelig grün und berostet bis perlförmig gelb oder orange mit dunkelroter Deckfarbe. Sogar eine gestreifte Birne ist im Inventar vertreten, die Schweizerhos‘, deren Namen sich vom Beinkleid der Schweizergarde in Rom ableitet. Darüber hinaus kommt die aromatische Vielfalt der Früchte zum Tragen: von herb-süss bis säuerlich-spritzig, knackend, schmelzend oder auch stark adstringierend. Birnen besitzen oft sehr charakteristische Geschmacksnoten, die an Zimt, Vanille, Karamell, Anis, Bergamotte oder Muskat erinnern.
Laut Agroscope-Fachleuten stehen die Birnen nicht nur im Hinblick auf Inhalts- und Nährstoffgehalt, sondern auch bezüglich kulinarischer Qualitäten den Äpfeln in nichts nach. Nebst den gängigen Tafelbirnensorten wie Conférence, Kaiser Alexander und Gute Luise finden Sorten wie Williams und Theilersbirne eine weite Verbreitung bei der Herstellung von Edelbränden. Hier kommen vermehrt auch Nischensorten wie Palmischbirne oder Islerbirne zum Einsatz. Mostbirnen werden häufig dem Süßmost oder dem Saft direkt ab Presse beigemischt. Früher wurden sie aufgrund ihres oftmals sehr hohen Gerbstoffgehalts auch als natürliches Mittel zur Klärung des Mosts verwendet. Gemäss Expertenauskunft haben diese Gerbstoffe einen gesundheitsfördernden Effekt und wirken sich vorteilhaft auf die Verdauung aus.
Verwendung für regionale Spezialitäten
Zahlreiche alte Schweizer Birnensorten finden nur regionale Verbreitung und sind oft mit sehr langer Tradition verbunden. Als typische Beispiele dieser Lokalsorten sind die Westschweizer Birnensorten Poire-à-Botzi aus dem Kanton Fribourg oder die besonders kleine und schmackhafte Sept-en-geule zu nennen. In der Romandie wird vornehmlich die Poire-à-Botzi für die Herstellung des vin cuit und in der Zentralschweiz die Theilersbirne zur Herstellung von Birnendicksaft verwendet. In der Deutschschweiz findet man eher Sorten wie Wasserbirne, Herbstlängler, Knollbirne oder Luzeiner Längler. Aus ihnen wird noch immer nach altem Hausrezept die Birnenmasse für Schlorzifladen, Birewegge und Birrebrot hergestellt. Produkte wie der Birehung und Birnel, die meist aus einer Mischung der gängigsten Mostbirnen hergestellt werden, sind ebenfalls fest in der kulinarischen Geschichte der Schweiz verankert.
Alte Sorten für neue Produkte
Das Nutzungspotenzial der Schweizer Birnensorten ist aufgrund der vielseitigen Verwendungszwecke enorm. Bei der Entwicklung neuer Produkte kann, auch dank der Erhaltung der Sortenvielfalt in Sammlungen, nach wie vor auf eine große Fülle an Sorten zurückgegriffen werden. Dies widerspiegelt auch die kleine aber feine Auswahl an Nischen-Produkten wie Poiré, verschiedene Schaumweine und Birnen-Balsamico. Vielfach sind Birnen auch in Form von sortenreinen Obstsäften in den Produktregalen kleinerer Mostereien vertreten.
Krankheitsrobuste Sorten gesucht
Die einst weit verbreiteten Hochstamm-Sorten Gelbmöstler und Wasserbirne sind auch wegen ihrer hohen Krankheitsanfälligkeit immer seltener anzutreffen. Es wird fortlaufend nach robusten Alternativen gesucht. Die Forscher untersuchen dafür die Birnensorten aus dem Nationalen Inventar um eine möglicherweise vorhandene Robustheit gegenüber den gängigsten Krankheitserregern zu entdecken.
Zwei Verträge und ein Aktionsplan
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat 1997 per Bundesratsbeschluss die Aufgabe erhalten, einen Nationalen Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (kurz NAP-PGREL) umzusetzen. Der NAP-PGREL fördert die Erhaltung und nachhaltige Nutzung dieser Ressourcen in der Schweiz. Er orientiert sich am Globalen Aktionsplan PGREL der FAO. Mit dem NAP-PGREL erfüllt die Schweiz Verpflichtungen aus internationalen Verträgen über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (Rom, 2001) und der Biodiversitätskonvention (Rio, 1992). Die Umsetzung des Aktionsplanes erfolgt in Form einer „public-private-partnership" mit verschiedenen privaten und öffentlichen Erhaltungsorganisationen auf Basis von Projekten. Es geht dabei um die Inventarisierung, Beschreibung, Erhaltung und nachhaltige Nutzung von pflanzengenetischen Ressourcen.
In einem Obstsorten-Inventarisierungsprojekt, das bereits von 2000 bis 2005 in Zusammenarbeit von Agroscope und Fructus durchgeführt wurde, erfolgte eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Birnensorten in der gesamten Schweiz. Seither werden sämtliche Sorten aus dem Nationalen Inventar in mehreren dezentralen Erhaltungs-Sammlungen abgesichert. Die Forschenden identifizierten mithilfe molekulargenetischer Analysen 840 einzigartige, in der Schweiz heimische Birnensorten. Anhand exakter Beschreibungen der Fruchteigenschaften konnten bis jetzt rund die Hälfte der Birnen für die Schweizer Nationale Datenbank zur Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen (www.bdn.ch) dokumentiert werden.
Ein Blick ins Ausland
In der französischen Normandie und im spanischen Baskenland wie auch in England und in Australien ist Poiré oder Pear-Cider ein beliebtes Getränk mit Alltags-Tradition. Im südlichen Deutschland wird Schaumwein aus der Champagner Bratbirne produziert. Und auch in der österreichischen Mostviertel-Region ist der vergorene Birnenmost sehr weit verbreitet.
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